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Soziale Strukturmerkmale der Bevölkerung - 3
 
 

Bislang fehlen für entsprechende Aussagen aber immer wieder die erforderlichen Daten und Indikatoren. Zudem ist die Sozialstruktur dominant mit zwei Bereichen verbunden, deren Bearbeitung von der Bevölkerungsgeographie nicht zu leisten ist: Der Wohlstandsverteilung der Bevölkerung, die sich u. a. in den Eigentumsverhältnissen am Grund- und Geldvermögen widerspiegelt (siehe Abb. - Wohlstandsverteilung), und der Selbstpositionierung im Individualverständnis der einzelnen Menschen, was einem sozialpsychologischen Ansatz entspräche. Die Schwierigkeiten allein des letzteren zeigten sich z. B. in Deutschland im Rahmen der politischen Diskussionen um die sog. "neue Mitte" der Gesellschaft Ende 1990er Jahre. Eine tiefere forschungsseitige Untersetzung der regionalen Sozialstrukturen und des sich daraus ableitenden räumlichen Sozialverhaltens ist darum eher Gegenstand der Soziologie und der Sozialgeographie. Einige Bereiche bilden dabei allerdings eine Ausnahme, weil sie teilweise signifikant mit demographischen Momenten korrespondieren: Bildung, Religion und ethnische Gruppierung. Es ist nicht ganz unproblematisch, diese drei Bereiche gleichwertig unter "sozialen Strukturmerkmalen" abzuhandeln, da sie alle einen relativ hohen Grad an Komplexität besitzen. Dennoch sei zunächst nur auf Bildung und Religion eingegangen, da sie allein schon hinsichtlich ihrer Stabilität eine andere Wertigkeit als z. B. die Zugehörigkeit zu einem Volk besitzen: Bildung kann man erwerben, Religionen wechseln - seiner Nationalität gehört man in der Regel das gesamte Leben lang an.
Über die Bildungsstruktur der Bevölkerung gibt es in unterschiedlichen Maßstäben vergleichsweise gute Informationen. Das ist aus geographischer Sicht insbesondere darum wichtig, weil Bildung weiter Teile der Bevölkerung die Grundlage für die Perspektive einer Region darstellt. Zudem ist die Korrelation zwischen der Qualifikation und den meisten anderen Eigenschaften der Sozialstruktur und deren Bedingungsgefüge hochgradig signifikant. Neben der Erforschung dieser Beziehungen untersucht die Bildungsgeographie auch räumliche Muster des allgemeinen Qualifikationsniveaus nach Schulartenabschluss, die sogenannte Übergangsquote (Anteil der Schüler mit gymnasialer Bildung), die Anteile der Absolventen von Universitäten sowie Probleme der räumlichen Organisation des Bildungswesens.
Die Beziehungen zwischen Bildungs- und Bevölkerungsgeographie sind vielfältig. Einerseits gibt es z. T. enge Relationen zwischen den kognitiven Fähigkeiten und einigen demographischen Handlungsmustern (Kinderanzahl, Wanderungsverhalten), andererseits spielen Bildung und Qualifikation bei der Standortbewertung insbesondere durch die Wirtschaft oft die entscheidende Rolle (Humankapitalansatz). Durch die unterschiedliche Beteiligung von Personen mit differenziertem Qualifikationsniveau kann es zu räumlichen Häufungen von Hoch- und Geringqualifizierten kommen. Das trifft insbesondere bei langanhaltender, gleichförmiger, selektiver Migration zu (WEISS, HILBIG 1998; ). Die organisierte bzw. planmäßige Abwerbung hoch qualifizierter Arbeitskräfte ins Ausland wird als Braindrain (wörtlich "absaugen von Gehirn") bezeichnet. Dadurch wird dem Abwanderungsland nicht nur die Investitionsleistung entzogen, sondern mit dem Humankapital auch genau jene Kraft, die der benachteiligte Standort zur Verbesserung seiner Existenzbedingungen nötig hätte. Zugleich verbessern sich die wirtschaftlichen Verwertungsbedingungen des Zuzugsstandortes über die eigenen Investitionen hinaus.

 
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