!
Ausgewählte Migrationen in der Neuzeit - Immigration und Arbeitsmigration in Europa an ausgewählten Beispielen - 2
 
 

Aus bevölkerungsgeographischer Sicht ist zudem die räumliche Verteilung und Umverteilung der Gastarbeiter von besonderer Bedeutung. So haben fast alle mediterranen Arbeitnehmer ihre ersten Siedlungsräume in Deutschland an Standorten und im Umfeld industrieller Ballungen gefunden. Ausgehend von den Großräumen München und Stuttgart-Ludwigsburg wurden die Räume Nürnberg und Frankfurt/Main erschlossen, erst später der Raum Köln und dann die Standortbereiche Bielefeld, Hannover, Wolfsburg, Hamburg und Bremen (in der Reihenfolge der Nennung, vgl. RUPPERT 1982, Abbildung 33, S. 52). Eine Ausnahme bei diesen Arbeitswanderungen spielte der damalige besondere politische Status von (West-)Berlin, wohin nach der Energiekrise vor allem viele türkische Familien übersiedelten. Dabei kam es zur besonderen Konzentrationen. In Kreuzberg lag der Anteil der Ausländer an der Wohnbevölkerung 1987 bei knapp 27 %; er stieg bis 1995 auf über ein Drittel.
Bemerkenswert ist die Tatsache, dass bestimmte Räume von Ausländern bis heute regelrecht gemieden werden. Das hängt vor allem mit der Wirtschaftsstruktur jener Gebiete sowie einer gewissen Inkompatibilität zwischen dem konkreten regionalen Arbeitsangebote und dem Leistungsangebot der Ausländer zusammen. So dominieren in jenen Gebieten, in denen ausländische Arbeitskräfte nur schwach vertreten sind, die Landwirtschaft und ländliche Lebensweise, obgleich genau solche Räume bis heute auf ausländische Saisonarbeiter angewiesen sind.
Ebenfalls geographisch interessant ist im europäischen Maßstab eine gewisse Form von "Stufenwanderung", wobei der Begriff ganz bewusst auf die Terminologie von Ravenstein abstellt. Gemeint ist die Einwanderung von Arbeitsmigranten aus dem Maghreb in jene mediterranen Regionen, die seit Jahrzehnten Arbeitskräfte nach Frankreich, die Benelux-Staaten und Deutschland entsenden. So strömen z. B. Tausende Afrikaner, unter ihnen besonders viele Marokkaner, nach Spanien. Viele von ihnen wandern nach einem kurzen Aufenthalt weiter in die Niederlande, um dort in der industriemäßig organisierten Landwirtschaft, vor allem den Gewächshäusern, zu arbeiten.

Legale Einwanderer nach Spanien von 1986 bis 1996

Anmerkung: 1992 wurde die Meldepflicht für afrikanische Immigranten eingeführt, um sie aus der Illegalität zu holen. Quelle: TYRAKOWSKI 1999, S. 41

Sowohl aus bevölkerungsgeographischer wie auch aus demographischer Perspektive sind qualitative Parameter der Immigranten von Bedeutung. Dabei fallen zunächst die starken Unterschiede in der Alters- und Geschlechtsstruktur zwischen den Arbeitsmigranten und der Bevölkerung im Zielland auf. Arbeitsmigranten sind überproportional jung, und in der Regel dominieren Männer. Das ist nicht nur in Mitteleuropa so, sondern selbst in Entwicklungsländern, wie am Beispiel von Indien bei der Gegenüberstellung ländlicher Quellgebiete und städtischer Zielräume von Arbeitsmigranten deutlich wird .

Alters- und Geschlechtsgliederung der Bevölkerung in ausgewählten ländlichen und städtischen Räumen 1991

Quelle: GANS; VIJENDRA 2000, S. 75

Ein weiteres demographisch interessantes Phänomen ist die unterschiedliche Fruchtbarkeit einheimischer und zugezogener Bevölkerung. Zumeist nehmen die weiblichen Arbeitsmigranten oder die mitwandernden Ehefrauen der männlichen Arbeitsmigranten zunächst ihr generatives Verhalten aus der Heimat mit. Damit heben sie sich deutlich von der autochtonen Bevölkerung ab, wie am Beispiel der Hauptgruppen der ausländischen Bevölkerung in Deutschland mehrfach untersucht wurde (Statistisches Bundesamt, Fachserie 1, Reihe 1, mehrere Jahrgänge). Sie haben nicht nur generell eine höhere Fertilität, sondern bekommen ihre Kinder wesentlich früher. Die maximale Fertilität entfällt bereits auf das 21. und 22. Lebensjahr und bleibt oftmals auch noch nach dem Fertilitätsmaximum der Deutschen um das 27. Lebensjahr hinaus oberhalb des deutschen Niveaus (RUPPERT 1882, S. 12). Zugleich gibt es eine beständige Tendenz der Angleichung an das generative Verhalten der deutschen Frauen, was bei vielen ethnischen Gruppen nach nicht einmal einer Generation stattfindet. Als einzige Gruppe, die hierbei signifikante Unterschiede aufweist, fallen die Türken auf, deren Fertilität Ende der 1980er Jahre selbst nach tendenzieller Anpassung an die mittleren Verhältnisse in Deutschland noch doppelt so hoch war, wie bei deutschen Frauen (WALDORF 1999, S. 196).

 
!