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Demographische Transition - 2
 
 

In der Demographie wird das Modell oft in seiner "klassischen Form" unter Verzicht auf die explizite Ausformulierung der mittleren Phase behandelt (vgl. MÜNZ / ULRICH 1994, S. 41 ff.), da sie keine Veränderungen im Trend beinhaltet. In der etwas älteren Literatur - zumeist in Anlehnung an TREWATHA (1969) - wird sogar noch vom Bevölkerungszyklus gesprochen, ein in drei Phasen gegliedertes Modell, dessen mittlerer Abschnitt in a und b geteilt war (vgl. WEBER 1976, S. 52 ff.).
Zwischen diesen Modellen gibt es keinen prinzipiellen Unterschied, allerdings ist gerade die Dauer der mitteltransformativen Phase ein Unterscheidungsmerkmal für verschiedene Regionen, und damit für die Geographie unverzichtbar. Mehr noch: Gerade das ausbleibende Einlenken der Geburtenrate bleibt in vielen Entwicklungsländern zunächst aus, so dass Geborene aus stark besetzten Jahrgängen ins gebärfähige Alter aufrücken, die unter vorherigen Bedingungen entweder nicht geboren oder der Kinder- und Säuglingssterblichkeit zum Opfer gefallen wären. Damit ist für diese Länder ein Transformationstyp kennzeichnend, welcher in den 1970er Jahren kaum in Erwägung gezogen wurde.
Welche Form das Modell auch annehmen mag, für alle Phasen ist die stetige Zunahme der Lebenserwartung charakteristisch. Das heißt allerdings nicht, dass die Menschen jetzt älter werden, sondern es werden ("lediglich") mehr Menschen älter!
Erste Ansätze für theoretische Erörterungen, welche zu diesem Modell führen, gab es in der deutschen Bevölkerungswissenschaft bereits in den 1920er Jahren, als man sich intensiv mit den demographischen Auswirkungen des Ersten Weltkrieges zu beschäftigen begann, u. a. durch die Gegenüberstellung der "Geburtenkurve" und der "Kurve der Sterbefälle" (z. B. LOTZE 1932, S. 9). Die wissenschaftliche Vertiefung blieb allerdings in der Angst vor dem "Volkstod" stecken und wurde dann auch bald der nationalsozialistischen Bevölkerungspolitik geopfert. Hingegen waren die Gedanken von THOMPSON (1929) zu einem "demographischen Übergang" und von DAVIS über eine "demographic transition" (1945) sowie das formaldemographische Schema NOTESTEINs (1945) diesbezüglich unbelastet.
Die ersten Vertreter der Transitionstheorie gingen bereits davon aus, dass ein enger, kausaler Zusammenhang zwischen dem Absinken der Sterblichkeit und dem Rückgang der Geburtenhäufigkeit besteht. Sie waren der Ansicht, dass der Geburtenrückgang eine Folge des Absinkens der Sterblichkeit ist, und Sterblichkeits- und Geburtenraten sich zumindest langfristig ausgleichen, woraus sich ein neues demographisches Gleichgewicht ergäbe. Die Grundidee war vereinfacht folgende: Mit der sozialökonomischen Entwicklung einer Gesellschaft verbessern sich die Lebensverhältnisse der Bevölkerung mit der Konsequenz, dass sich die Lebenserwartung erhöht. Das Absinken der Sterbeziffern und insbesondere die Verringerung der Säuglings- und Kindersterblichkeit führen zu einem solchen Wachstum der Bevölkerung, dass Gesellschaft und Familien unter Anpassungsdruck gesetzt werden, in dessen Folge eine bewusste Geburtenbeschränkung eingeleitet wird. (HÖPFLINGER 1997, S. 33)
Die Arbeiten dieser amerikanischen Demographen wurden Ende der 1950er Jahre aufgewertet, als sie durch die Bevölkerungsabteilung der UNO aufgegriffen wurden. Seitdem ist das "Modell des demographischen Übergangs" bekannt und anerkannt (LEIB / MERTINS 1983, S. 77).
In der Literatur gibt es unterschiedliche Positionen darüber, ob es sich bei der demographischen Transition "nur" um ein Schema, um ein Modell oder sogar um eine Theorie handelt. Es ist sicher nur ein didaktisches Hilfsmittel, um bestimmte Mechanismen in einer besonders dynamischen Phase der Bevölkerungsentwicklung beschreibend zu erklären. Immerhin ist weder die Verringerung der Sterberate noch die Verringerung der Geburtenrate eine Ursache für die Bevölkerungsexplosion, sondern bestenfalls Abbilder von Teilprozessen, die selbst viele Ursachen haben. Diese Unsicherheiten, welche die erklärende Kraft des Modells allerdings in keiner Weise beeinträchtigen, haben mehrere Gründe.

Dauer der Demographischen Transition in verschiedenen Industrieländern

Quelle: BÄHR 1983, S. 253

Zunächst hat die demographische Transition nach Ländern und Regionen zu verschiedenen Zeiten begonnen und eine unterschiedliche Dauer (vgl. Abb. ), die nicht immer eindeutig aus der jeweiligen gesellschaftlichen Entwicklung ableitbar ist. Zudem führte die ursprüngliche Bindung des Modells an die Industrialisierung anfänglich nicht über die entwickelten Industriestaaten hinaus. Vielmehr passte es viel zu gut in übergreifende Ansätze, z. B. beim Vergleich der Position einer Region innerhalb des Transitionsprozesses mit den Maßen des materiellen Lebensstandards und der Industrialisierung, als dass es hinterfragt werden müsste. Außerdem gab und gibt es in vielen Staaten eine Reihe außerökonomischer Bedingungen, welche den Transitionsverlauf zumindest zeitweilig dominieren, ohne eine enge Beziehung zum Grad der Industrialisierung zu besitzen. So verwies CLARKE (1985a) am Beispiel des Islam auf die besondere Rolle der Religion.

 
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