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Begriffsbestimmung
 
 

Eine räumliche Bevölkerungsbewegung wird als Wanderung (Migration) bezeichnet, wenn dabei der Wohnsitz dauerhaft über mindestens eine administrative Grenze hinweg verlegt wird. Diese Begriffsbestimmung ist die gemeinsame Basis mehrerer Bereiche, die sich aus unterschiedlichen Perspektiven mit Wanderungen beschäftigen, aber eigene, z. T. abweichende Begriffsapparate entwickelt haben. In der Bevölkerungsgeographie werden folgende Begriffe und Maße bzw. Einheiten und Kennziffern verwendet (nach SCHWARZ 1972, S. 232ff und LEIB / MERTINS 1983, S. 102):


  • Umzug: Verlegung des Wohnsitzes innerhalb einer Gemeinde; zählt nicht zu den Wanderungen;
  • Zuzug bzw. Wegzug: Migration in ein konkretes Gebiet hinein bzw. aus einem konkreten Gebiet hinaus, unabhängig von der Größe oder der hierarchischen Ordnung des Gebietes;
  • Zuzugsrate bzw. Wegzugsrate: Anzahl der Zuzüge bzw. Wegzüge bezogen auf 1 000 Einwohner;
  • Binnenwanderung: Migration innerhalb eines konkreten Gebietes in Bezug auf dieses Gebiet;
  • Außenwanderung: grenzüberschreitende Wanderung in Bezug auf das begrenzte Gebiet;
  • internationale Wanderungen: Wanderungen über Grenzen souveräner Staaten; je nach Richtung und Perspektive Ein- oder Auswanderung;
  • Wanderungsvolumen (Bruttowanderung): Summe aller Wanderungen (Zuzüge + Wegzüge) einer Gebietseinheit;
  • Wanderungsbilanz (Migrationssaldo): Differenz von Zuzügen und Wegzügen;
  • Wanderungsrate (Migrationsrate): Wanderungsvolumen bezogen auf 1 000 Einwohner;
  • Migrationssaldorate: Migrationssaldo bezogen auf 1 000 Einwohner;
  • Wanderungseffektivität: rechnerisches Verhältnis von Wanderungsbilanz und Wanderungsvolumen.
  • Daneben sind eine Reihe anderer Begriffe gebräuchlich, welche oft in Abhängigkeit einer konkreten Fragestellung definiert werden. So können z. B. Mobilitätsziffern bzw. -raten die alters- und geschlechtspezifische Beteiligung bestimmter Bevölkerungsgruppen zum Ausdruck bringen. Die Push- bzw. Pull-Faktoren (abstoßende bzw. anziehende Faktoren) sind vom Wort her selbsterklärend. Sie bezeichnen Klassen von Bedingungen in Bezug auf die räumlichen Quellen und die Ziele der Migration.
    Durch Zu- und Wegzüge können sich Einwohnerzahlen in sehr kurzer Zeit stark verändern. Eine noch größere Bedeutung haben sie allerdings oftmals durch ihre nachhaltige Wirkung auf die Bevölkerungsstruktur, denn Wanderungen erfolgen zumeist selektiv, d.h. es sind vorrangig ausgewählte Gruppen der Bevölkerung am Wanderungsgeschehen beteiligt. Sie unterscheiden sich nach Alter, Qualifikation, Einkommen, Lebensstil und anderen Merkmalen. Damit können sich durch unausgewogene Migrationen auch die qualitativen Potentiale einer Bevölkerung verschieben, z. B. die Alters- und Geschlechtsgliederung, das Humankapital, die Kaufkraft, das Bildungsniveau, aber auch Verhaltensnormen.
    Unter der Voraussetzung, dass Wanderungen in Freiheit und bei freier Entscheidung der Wandernden erfolgen, vollziehen sie sich in gewissem Sinne gesetzmäßig. Migranten versuchen bessere Existenzbedingungen durch die Verlegung des Wohnsitzes zu realisieren. Dabei wägen sie den zumeist von Informationen abhängigen, erhofften oder kalkulierten Gewinn an Lebensqualität mit dem Aufwand für die Neueinrichtung und die Veränderung sowie dem Verlust des Bisherigen ab. Also wandern jene zuerst, die sich leichter in einer neuen Heimat einrichten können, sowie diejenigen, die nicht so stark gebunden sind, die weder auf ortsfestes Eigentum noch auf die Bindung anderer Personen Rücksicht nehmen müssen.
    Von einem solchen Bedingungsgefüge kann man in der Realität aber nur selten ausgehen. Zumeist unterliegt der Mensch Einflüssen aus Natur, Politik, Wirtschaft und sozialen Verhältnissen, die mit mehr oder weniger Motivation bzw. Gewalt zur bzw. gegen Migration anregen bzw. zwingen. Diese vielen Faktoren aus unterschiedlichen Systemen sind kategorial nur selten kompatibel. Darum gehören Versuche zu einer Typologie der Migration zwar zu den ältesten theoretischen Arbeiten in der Bevölkerungsgeographie, aber auch zu den vielfach umstrittenen.
    Davon unabhängig ist die Migrationsstatistik eine unabdingbare Voraussetzung für die Migrationsforschung. In Ländern wie Schweden, den Niederlanden und Deutschland steht diesbezüglich ein umfangreiches Datenmaterial zur Verfügung, da hier ein dafür notwendiges Meldegesetz schon lange eingeführt ist (GROHS 1975, S. 44). In Deutschland werden Wanderungen seit 1938 systematisch erfasst (SZELL 1972, S. 20). Fehlt eine solche Meldeverpflichtung, wie z. B. in den USA, versucht man sie durch Daten aus Bevölkerungstotalerhebungen (Volkszählungen) zu ersetzen, welche "durch genaue Kenntnis biologischer, altersspezifischer Veränderungsraten und erhebungs-statistisch identischer Merkmale eine historische Analyse von Veränderungen in der Bevölkerung nach dem Bilanzprinzip ermöglichen" (GROHS 1975, S. 42). Weitere Daten kann man z. B. aus Fragebögen beim Meldevorgang oder durch demoskopische Erhebungen durch Interviews, Zusatzfragebögen usw. erhalten (ebenda, S. 42/43). Die letztere Möglichkeit der Datenerfassung ist oft sehr informativ, da man tiefgehend nachforschen kann. Die Daten auf den amtlichen Meldescheinen sind für manche Erhebungen nicht ausreichend (SZELL 1972, S. 20). In der Wanderungsstatistik werden allerdings keine Personen gezählt, sondern nur Wanderungsfälle, so dass es kaum möglich ist, die an den Wanderungen beteiligten Personen, z. B. Ehegatten, miteinander zu verknüpfen.

     
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